Die Floral Street, in der das Gate Theatre von der Gründung 1925 bis 1927 angesiedelt war

Gate Theatre, London

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1941 war es vorbei. Die Bombenschäden im Blitz im März 1941 waren zu groß, das große kleine Theater in Covent Garden konnte nicht mehr bespielt werden und öffnete auch nach dem Krieg nicht mehr seine Pforten. Für Theaterverhältnisse war das Gate Theatre Studio nicht größer als eine Schuhschachtel. Der spätere Leiter des Theaters, Norman Marshall, beschreibt seinen ersten Eindruck:

„I was not impressed on my first visit to the Gate. I thought it a squalid looking place. Worse, I suspected it of being arty. In those early days it was on the top floor of a ramshackle warehouse in a Covent Garden alley called Floral Street. The more enterprising small boys of the district used to charge twopence to pilot would-be members of the audience who had lost their way among the maze of dark narrow alley-ways surrounding the theatre. When one had found the entrance there was a gruelling climb up many flights of rickety stairs to the theatre itself. The ‘theatre’ was little more than a large garret holding an audience of eighty crammed together on cruelly narrow and uncomfortable seats. There was the minimum of ventilation and no foyer to escape to in the interval.[1]

Lage des ehemaligen Gate Theatre, London

1925 vom britischen Schauspieler und Regisseur Peter Godfrey und seiner Frau, der Schauspielerin Molly Veness in der Floral Street gegründet, war das Gate Theatre Studio eines der führenden avantgardistischen und vor allem internationale Stücke spielenden Theater Londons. Das sagt viel über das Gate Theatre, noch mehr allerdings über die Londoner Theaterszene, die konventionelle, britische Stücke bevorzugte. Shakespeare, Krimis und Verwechslungskomödien standen hoch im Kurs, ausländische Autor_innen hatten kaum eine Chance gespielt zu werden oder gar Fuß zu fassen. Toller war da eine Ausnahme. Schon in den 1920ern war Toller der bekannteste deutsche Dramatiker in Großbritannien (was einigen, unter ihnen Johannes R. Becher,[2] ein Dorn im Auge war und auch T. S. Eliot fand das “somewhat overrated“[3]), das Gate Theatre wurde ein wichtiger Aufführungsort, es zeigte zahlreiche Toller-Stücke, darunter Masses and Man (Masse Mensch) 1926, Hinkemann (Der deutsche Hinkemann) 1926, Miracle in America (Wunder in Amerika) 1934, Hoppla! (siehe auch Tollers Orte: Dublin, Rathmines Town Hall) 1929und Tollers letztes zumindest teilweise erfolgreiches Stück No More Peace, das 1936 von Norman Marshall produziert wurde.Die meisten Aufführungen vorher wurden von Godfrey inszeniert. Der holte nicht nur Tollers Hinkemann in der ersten Saison ans Gate Theatre, das im Mai 1926 dort Premiere feierte, er übernahm auch die Titelrolle. Es war nicht die erste Aufführung des Hinkemann in England, schon 1924 gab es eine im Prince of Wales Theatre, aber es war die erste britische Produktion, denn die Aufführung von 1924 war eine Tourneeproduktion des Yiddish Art Theatre of America. Dabei war Toller zu Beginn dem Gate Theatre gegenüber skeptisch. In einem Brief an Ivor Montagu vom 24. Januar 1926 fragt Toller, ob es förderlich sei, wenn das Gate Theatre Masses and Man spielte, oder ob es eher hinderlich dafür sei, von einem größeren Theater gespielt zu werden. Die Antwort schien positiv ausgefallen zu sein, jedenfalls hatte Masses and the Man[4] am 1. März unter Godfreys Regie Premiere und erlebte 12 Aufführungen.

Optisch eindrucksvoll war das Gate Theatre Studio nicht. Anfangs nicht mehr als ein privater Raum, zog es 1927 in die Villiers Street, blieb aber auch dort einer ungewöhnlichen Theaterarchitektonik treu. So war die Bühne im Vergleich zum Zuschauerraum viel zu groß, so dass die erste Reihe der Zuschauer mit den Füßen praktisch die Bühne streiften. Allerdings hatte der intime Studiocharakter einen entscheidenden Vorteil, von dem auch Tollers Stücke zum Teil profitierten: Es gehörte zu einer Reihe kleiner bis winziger Theater, die als Clubs geführt wurden und so der Zensur durch den Lord Chamberlain entgingen. So konnte etwa das zensierte Miracle in America, das als religionsfeindlich der Zensur zum Opfer fiel, im privaten Gate Theatre aufgeführt werden. Das Gate, wie es genannt wurde, hatte den Ruf, Fluchtort für vom Lord Chamberlain verbotene Stücke zu sein, gerade am Anfang war es das aber nicht, so weist Marshall darauf hin, dass in der ersten Saison von 18 Stücken nur eines von Lord Chamberlain verboten wurde. Allerdings spielten die anderen Clubtheater nur wenige Aufführungen am Wochenende, das Gate, war aber das erste, das Stücke für mehrere Wochen täglich ins Programm nahm und professionell betrieben wurde. Die ständigen Programmwechsel ermöglichten, dass pro Saison sehr viele Stücke dem Publikum bekannt gemacht werden konnten, sie waren aber alle Beteiligten unheimlich anstrengend, weshalb Godfrey, der Leib und Seele in sein Theater investiert hatte, nach neun Jahren aufhörte und an Norman Marshall übergab. Godfrey wandte sich bald dem Film zu, 1945 verfilmte er etwa Vicki Baums Hotel Berlin. Ganz konnte er aber vom Theater und auch vom Gate nicht lassen und eröffnete 1943 ein Gate Theatre in Hollywood.

Marshall übernahm das Gate 1934, weil es ihm ermöglichte, „any damned play I liked“[5] inszenieren und produzieren zu können. Seine erste Wahl fiel auf Tollers Miracle in America mit Dorothy Holmes Gore in der Hauptrolle und seine Wahl war kein Zufall: „It proved, as I had hoped, a safe choice as Toller was well known to Gate audiences and his play was controversial enough to create a good deal of discussion.”[6] Das Stück kam beim Publikum zwar gut an, war aber dennoch ein finanzieller Verlust, da die Produktion sehr teuer war. Die Saison 1934 begann mit einem Toller-Stück, die Saison 1936 wurde mit einem beendet: No more Peace! mit Tollers Frau Christiane Grautoff in der Hauptrolle der Rachael. Am Eröffnungsabend hielt Toller eine Rede, bei der er sagte, er müsse England für eines danken: „I have learned to see the very bitter things of life from the angle of comedy.“[7] Die Kritiken waren durchwachsen. Toller hatte wohl versucht, das Stück mehr an den englischen Geschmack anzupassen und historische Figuren zu wählen, um auf einer Metaebene die Frage nach Pazifismus und Krieg zu stellen, statt konkret auf die Situation in Deutschland einzugehen, doch das Stück bleibt oberflächlich und konnte wenig Witz entfalten. Stücke wie Lilian Hellmans The Childrens Hour verhalfen dem Gate auch finanziell zum Erfolg, bis die Bomben der Nazis dem Theater ein Ende machten.

Erst 1979 tauchte wieder ein Gate Theatre auf der Bildfläche auf, zwar mit dem gleichen Namen und ebenso klein, aber nicht mehr in Covent Garden, sondern über einem Pub in Notting Hill Gate. Auch wenn dieses Gate zum Namen gut passt, stellt sich das neue Gate Theatre mit der Namenswahl in die Tradition des alten: Gespielt wird moderne, internationale Gegenwartsdramatik, Experimentelles, Performances. Das neue Gate Theatre hat sich der Diversität von Akteuren und Inhalten verschrieben – und das auf gerade mal 75 Sitzplätzen.

Veronika Schuchter, 13.2.2021


[1] Norman Marshall: The Other Theatre. John Lehmann: London 1947, S. 42.

[2] Brief an Willi Bredel v. 26.2.1935. In: Johannes R. Becher. Briefe 1909-1958. Berlin u. Weimar: Aufbau 1993, S. 197–203, hier S. 200.

[3] T. S. Eliot: Brief an Wilhelm Lehmann v. 14.5.1932. In: The Letters of T. S. Eliot. Vol. 2: 1923–1925. Ed. by Valerie Eliot and Hugh Haughton. London: Faber & Faber, 2009, S. 132-133.

[4] Masse Mensch wurde manchmal als Masses and Man, manchmal als Masses and the Man übersetzt.

[5] Marshall 1947, S. 105.

[6] Ebd. S. 107.

[7] Ebd., S. 113.