Gertraud Klemm (c) Annemarie Meilinger / Augsburger Allgemeine

Verleihung des Ernst-Toller-Preises an Gertraud Klemm – Ein Rückblick

Am Samstag, den 25. September 2021 wurde im Stadttheater Neuburg an der Donau zum elften Mal der Ernst-Toller-Preis für herausragende Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik verliehen.  Feierlich eingeleitet und umrahmt von der Vibrafonistin Seon-Yeong Hoffmann wurde der diesjährige Preis an die österreichische Schriftstellerin Gertraud Klemm verliehen.

Für das scharfsinnige und unbeugsame Hinterfragen der Strukturen von Macht –„und zwar nicht nur im Großen, also beispielsweise im Kultur- oder Literaturbetrieb, sondern auch im Kleinen, im Privaten“ , für die „kritische Auseinandersetzung mit Sexismus, mit der neoliberalen Leistungs- und Wertegesellschaft, mit Religion, mit rücksichtsloser Ausbeutung und mit dem Patriarchat“ sprach Kirsten Reimers Gertraud Klemm stellvertretend für die Jury den Preis zu.

Die Literaturkritikerin Anne-Dore Krohn charakterisierte das Werk Klemms in ihrer Laudatio kämpferisch und bestechend unbestechlich und lobte die „radikale Offenheit dieser Autorin“, die „faszinierend und bewunderswert [ist], manche aber auch erschreckt.“ In ihren Texten setzt sich die in Wien geborene Autorin mit Ungerechtigkeiten jedweder Art auseinander. In ihrem letzten und bisher vielleicht radikalsten Roman, Hippocampus (Kremayr & Scheriau, 2019), etwa mit der Frage des kollektiven Gedächtnisses, mit Erinnerungskultur und weiblicher Demütigung im patriarchal geprägten Literaturbetrieb. In ihren früheren Romanen – Aberland (2015) und Muttergehäuse (2016) etwa – auch mit dem Politischen im ganz Privaten, mit Mütterbildern und ungewollter Kinderlosigkeit, mit Adoption, weiblichen  Rollenzuschreibungen und (mangelnder) Gleichberechtigung.

Klemm betonte in einem Interview mit dem Donaukurier vor der Preisverleihung, dass sie sich gerade über die Auszeichnung mit einem Preis für herausragende Leistungen im Grenzbereich von Literatur und Politik freue: das „fühlt sich wie eine Umarmung an, auf die ich seit Beginn meines Schreibens gewartet habe“, so die Autorin[1]. In ihrer Dankesrede führte sie aus, weshalb der Wille zum Protest – den sie mit Ernst Toller gemeinsam habe, wie es in der Jury-Begründung heißt – es ihr und ihren Werken nicht immer leicht mache, denn:

„Literatur kann Geschichten erzählen und empathische Einladungen aussprechen, aber sie bleibt ein hilfloses, in sich geschlossenes Szenario, eine Art Zoo, der darauf angewiesen ist, dass Menschen der Einladung folgen, ihn zu besuchen, Eintrittsgelder zu bezahlen und sich für verschiedene Lebensrealitäten zu interessieren: Im Zoo dürfen wir uns vor Giftspinnen gruseln, vor Löwen fürchten und ehrfürchtig die Mächtigkeit von Elefanten bestaunen. Aber wenn wir den Zoo verlassen, wollen wir über elefantenfreie Straßen in unsere spinnen- und schlangenfreien Häuser heimkehren, und zum Abendessen sollen schon wir die Tiere essen und nicht sie uns. So ähnlich ist es in der feministischen Literatur: Sie soll unterhalten, anregen, kritisieren und gruseln, aber wenn das Buch zugeklappt wird, muss Schluss sein. Es darf nicht persönlich angreifen. Nicht beschuldigen. Nicht auf die Zehen des Lesers steigen.“

Gertraud Klemm in ihrer Dankesrede

Dass sie davor nicht zurückscheut, zeichnete die Ernst-Toller-Gesellschaft mit dem Preis aus, der auch in diesem Jahr mit Unterstützung der Stadt Neuburg an der Donau vergeben wurde. Oberbürgermeister Dr. Bernhard Gmehling freute sich in seinem Grußwort darüber, dass mit diesem Festakt und weiteren Veranstaltungen nach einer langen pandemiebedingten Pause wieder Leben in das Stadttheater einkehrt. Er würdigte auch Dr. Dieter Distl, den langjährigen Vorsitzenden der Toller-Gesellschaft, für sein bereits 25 Jahre andauerndes Engagement und seinen Einsatz für den Toller-Preis, der einen besonderen Glanz in die Stadt Neuburg bringe. Das Preisgeld von 5.000 Euro stiftete wieder der örtliche Lions-Club, dessen Präsident Mark Friemel ebenfalls ein Grußwort sprach.

Der Abend klang mit Wein, Brot und Gespräch im Theaterhof aus.

Alle Fotos: (c) Annemarie Meilinger / Augsburger Allgemeine

Zum Nachhören: Isabella Kreim vom Kulturkanal Ingolstadt berichtet von der Verleihung des diesjährigen Toller-Preises an Gertraud Klemm. Mit vielen O-Tönen des Abends und einem Gespräch der Autorin.


[1] Barbara Fröhlich / Gertraud Klemm: „Freudig überrascht!“ Gertraud Klemm zur Verleihung des Ernst-Toller-Preises 2021 für ihr Werk – ein Interview. In: Donaukurier, Nr. 214 v. 15.9.2021, S. 16. Auch online abrufbar.