Sovereign Hotel, 205 Washington Ave., Santa Monica, California (2008)

Santa Monica, Kalifornien

34°1’10″N,118°29’25″W

Tollers „pazifisches Leben“ in Santa Monica

Als Toller Anfang 1937 seine Zelte im Hotel Miramar im kalifornischen Santa Monica aufschlug, hatte die
Stadt am Pazifischen Ozean gerade mal 50 Jahre auf dem Buckel. Bis 1848 war Santa Monica ein
mexikanisches Dorf, erst danach wurde es amerikanisch und 1875 begann das eigentliche Santa Monica
seinen Aufschwung. Namensgebende ist die hl. Monika von Tagaste, die Mutter des heiligen Augustinus und bis heute bleibt Santa Monica katholisch geprägt. Das hat natürlich mit der spanisch-lateinamerikanischen Historie Südkaliforniens zu tun, auch wenn Weiße, für Südkalifornien
ungewöhnlich, die Bevölkerungsmehrheit stellen.

Noch 1880 hatte das Örtchen schlanke 417 Einwohner, zur Tollers Zeiten hatte sich das schon mehr als
verhundertfacht. Heute hat der Küstenort in unmittelbarer Nachbarschaft der Millionenmetropole Los
Angeles weniger als 100.000 Einwohner, was auch daran liegt, das Santa Monica von LA auf allen Seiten
eingekesselt am Strand liegt. Weltbekannt ist die Stadt trotzdem, tummeln sich dort doch die Reichen
und Schönen, von denen viele im nahen, in Wahrheit nicht mondänen, sondern recht heruntergekommenen Hollywood ihren Dienst versehen. Das traf 1937 auch auf Toller zu – sonderlich
reich war er zwar nicht, aber mit einem gut dotierten Jahresvertrag mit dem Filmstudio MGM in der
Tasche dürften seine Geldsorgen sich im Vergleich mit anderen Emigranten doch in Grenzen gehalten
haben. Er blieb seiner Vorliebe für Hotels treu, vom New Yorker Hotel Mayflower wechselte er zunächst
ins Hotel Miramar, später dann in ein Apartment des Sovereign Hotels in der Washington Avenue, ein
kleineres aber damals fast neues, im spanischen Kolonialstil erbautes Hotel in unmittelbarer
Strandnähe.

Mit kurzen Unterbrechungen hielt Toller sich ein knappes Jahr in Kalifornien auf – oder vielleicht besser,
hielt er es ein knappes Jahr dort aus. Die anfängliche Begeisterung vom Leben in Santa Monica und auch
der Arbeit für MGM wich schnell einer Desillusionierung. Der melancholische Sozialist im kapitalistischen
Mekka Hollywood, das konnte nicht lange gut gehen. Seine Frau Christiane Grautoff war zunächst in New
York geblieben, um an ihren Englischkenntnissen und ihrer Bühnenkarriere zu arbeiten und Toller gab
sich zunächst dem „pazifischen Leben“ (Brief Nr. 1536 an George Grosz v. 8. Juni 1937), wie er es nannte, hin. Er residierte am Strand von Santa Monica, genoss das Schwimmen im Ozean und Ausritte und schaffte sich sogar einen gebrauchten Pontiac an. Auch die Arbeit sagt ihm Anfangs zu: Meist arbeitet er in Santa Monica und nicht, wie sonst üblich, am riesigen Studiogelände der MGM in Culver City.

„My work has been easy so far and I feel in Hollywood like a spectator who watches a very odd performance. I have plenty of time to read and to work outside of my film work and I hope these few months will make it possible for me to live independently for an entire year“, berichtet er Denis Johnston am 17. April 1937. Schon bei seiner Ankunft in New York im Oktober 1936 hatte er zwei Drehbuchideen im Gepäck, für MGM sollte er seine Vorarbeit Betsy James zu einem Drehbuch über Lola Montez ausarbeiten. Toller war in der seltsamen Situation ein entspanntes Leben am Strand zu führen, gut zu verdienen und von seinem Arbeitgeber auch nicht unter Druck gesetzt zu werden – im Gegenteil, er solle nicht zu viel arbeiten, wurde ihm geraten. War anfangs geplant, Lola Montez mit Joan Crawford in der Hauptrolle und produziert von Joseph L. Mankiewicz umzusetzen, verlor MGM bald das Interesse an dem Projekt. Das Ende seines Vertrags hätte das zwar nicht zwangsläufig bedeutet, doch dauerhaft in Santa Monica am Strand zu sitzen, ohne Wertschätzung für seine Arbeit, war nicht in seinem Sinne. Als er Studioboss Louis B. Mayer ankündigte, dass er in diesem Falle MGM verlassen werde, ließ der ihn unbeeindruckt ziehen.

Auch wenn Toller enttäuscht war, war er auch nicht unglücklich, Kalifornien wieder verlassen zu können: „One lives her so to speak among empty beauty which sometimes is unbearable”, lässt er seinen Übersetzer Denis Johnston wissen. Seine Zusammenarbeit mit MGM scheitert. „I am sick of
H.[Hollywood]. And look forward to see no stars but human beings”, lautet seine letzte Nachricht aus
Santa Monica am 3. Februar 1938 an seinen Assistenten und Freund Sidney Kaufman (Brief Nr. 1556).

Tollers „pazifisches Leben“ war ein letztes kurzes Aufatmen. Nach einer anstrengenden mehrmonatigen
Vortragstour durch die USA und Kanada war er erschöpft und auch gesundheitlich angeschlagen. „My
work has been easy so far and I feel in Hollywood like a spectator who watches a very odd performance.
I have plenty of time to read and to work outside of my film work and I hope these few months will make
it possible for me to live independently for an entire year“ (Brief Nr. 1523 an Denis Johnston v. 17. April 1937), ist Toller im April noch hoffnungsfroh. Es sollte anders kommen. Die nachgekommene Christiane erkrankte so schwer an der Amöbenruhr, dass sie ins Krankenhaus musste. Toller ist schnell nicht nur von der Oberflächlichkeit angewidert, auch sein politisches Engagement lässt ihn unruhig werden und zieht ihn zurück an die Ostküste, die ihm auch intellektuell wesentlich näherstand und von wo aus er sich an die
Planung der Hilfsaktion für die Hungernden im Spanischen Bürgerkrieg.

Wer heute im Fairmont Miramar Hotel & Bungalows, wie es mittlerweile heißt, auf den Spuren von Greta
Garbo, Jean Harlow und anderen Hollywoodgrößen wandeln möchte, kann das ab 700 $ pro Nacht
machen – in der Nebensaison. Meerblick kostet freilich etwas mehr, ein absolutes Luxushotel ist das
Miramar allerdings nicht mehr. Wer noch im historischen Gebäude übernachten möchte, sollte sich
allerdings beeilen: Trotz Protesten soll das Gebäude von neuen Eigentümern demnächst rundum
erneuert, sprich abgerissen und neu errichtet werden. Tollers zweite Adresse, die Sovereign Apartment
existieren heute noch und können langfristig auch gemietet werden, für $4,500 monatlich ist ein
Einzimmer-Apartment zu haben.

Veronika Schuchter, 10.10.2022