Günter Grass - Preisträger 2007

Nicht einstimmig - aber stimmig

 

Der Literaturnobelpreisträger und überzeugte Sozialdemokrat Günter Grass
ist der neue Ernst-Toller-Preisträger der Stadt Neuburg

Wenn es ernst wird, offenbaren manche Zeitgenossen mit handfesten Vergleichen ihre aktuelle Gefühlslage. Bayerns Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber etwa analysierte jüngst seine politische Situation an der Spitze der Bayerischen CSU mit den Worten, dass jeder, der in der Küche arbeite, auch "Hitze vertragen können" müsse. Sonst habe er dort nichts zu suchen. Und als Günter Grass literarisch und selbstkritisch auf sein Leben blickte, nannte er seine Betrachtungen „Beim Häuten der Zwiebel“. Dass bei dieser Tätigkeit die eine oder andere Träne fließt, liegt in der Natur der Sache.

Vorstand und Jury der Ernst-Toller-Gesellschaft in Neuburg an der Donau haben sich die Entscheidung, Günter Grass nach seinen Enthüllungen über seine Berührung mit dem Nationalsozialismus den Preis zuzuerkennen, nicht leicht gemacht. Sie ist auch nicht einstimmig gefallen. Doch als bewusstes Zusprechen einer literarischen Exzellenz wird sie von einem gemeinsamen Konsens getragen. Günter Grass ist nach Albert Ostermaier, Biljana Srbljanovic, Felix Mitterer und Juli Zeh der 5. Träger des Ernst-Toller-Preises, der für Engagement im Grenzgebiet zwischen Literatur und Politik verliehen wird. Er ist mit 5.000 Euro dotiert und finanziert sich nicht aus öffentlichen Mitteln, sondern aus dem Engagement des Neuburger Lions-Clubs. Dessen Mitglieder verkaufen im Rahmen eines Buchbasars in der Vorweihnachtszeit gespendete Bücher und versteigern Kunstwerke aus dem Umfeld der Neuburger Sommerakademie. Ausschließlich mit diesem Erlös wird der Ernst-Toller-Preis verliehen. In zehn Jahren sind so mehr als 40 000 Euro zusammen gekommen. Die Preisverleihung ist für das Frühjahr 2007 vorgesehen – der genaue Termin erfolgt in Abstimmung mit Günter Grass, der im Oktober seinen 80. Geburtstag feiern wird.

Wer ist Ernst Toller?
Ernst Toller wurde am 1. Dezember 1893 im ostpreußischen Samotschin geboren, er nahm sich am 22. Mai 1939 in New York das Leben. Nach schwerer Verwundung im Ersten Weltkrieg – zu dem er sich freiwillig meldete – kam es 1916 zur Entlassung. 1918 als Vorstandsmitglied in den Zentralrat der Arbeiter-, Bauern- und Soldatenräte Bayerns berufen, wurde Ernst Toller als Beteiligter an der Bayerischen Räterepublik im Jahre 1919 zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Die Emigration über die Schweiz, Frankreich und England in die USA folgte 1933. Die Kriegserfahrung machte Toller zum Pazifisten. Mit seinen zahlreichen Dramen wie etwa „Die Wandlung“ (1919) entwickelte sich Ernst Toller neben Bertolt Brecht zum bedeutendsten Dramatiker der Weimarer Republik. Sein umfangreiches Engagement im Spannungsfeld zwischen Literatur und Politik dokumentiert der Einsatz für demokratische Strukturen in der Weimarer Republik und seine Opposition gegen den Nationalsozialismus.

Wer ist Günter Grass?
Günter Grass wurde am 16.10.1927 in Danzig als Sohn deutsch-polnischer Eltern geboren. Nach seiner Kriegsbeteiligung in den Jahren 1944 und 1945, seiner Verwundung und Gefangenschaft, begann er 1947 eine Steinmetzlehre in Düsseldorf und studierte ab 1949 Bildende Künste in Düsseldorf und Berlin. 1955 wurde er Mitglied der „Gruppe 47“. Berühmtheit erlangte Günter Grass mit dem 1959 erschienenen Roman „Die Blechtrommel“ und vielen weiteren literarischen Arbeiten, etwa den Romanen „Katz und Maus“ oder „Das Treffen in Telgte“. Neben zahlreichen Preisen und Auszeichnungen erhielt Günter Grass 1999 den Nobelpreis für Literatur.

Warum Günter Grass?
„Parallelen zwischen Günter Grass’ 2006 erschienener literarischer Autobiographie „Beim Häuten der Zwiebel“ und Ernst Tollers „Eine Jugend in Deutschland“ von 1933 rechtfertigen die Vergabe des Neuburger Literaturpreises, der bundesweite Beachtung genießt, als Fallbeispiel europäischer Geschichte – und damit als Beitrag zur dauerhaften Erinnerung an die dunkelsten Kapitel deutscher Vergangenheit“, resümiert Professor Stefan Neuhaus, Ordinarius an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und Vorstandsmitglied der Neuburger Ernst-Toller-Gesellschaft. „Günter Grass und Ernst Toller haben in ihrer Vita auch aus der Begegnung mit dem Krieg eine pazifistische Grundhaltung entwickeln können, die sie befähigt, sich mit der Geschichte – und mit ihrer persönlichen Geschichte – auseinander zu setzen“, erläutert Franz Hofmeier, Direktor des Neuburger Descartes-Gymnasiums und Mitglied der Ernst-Toller-Gesellschaft. „Es gehört zur Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen, Werte zu hinterfragen, zu verwerfen oder als eigene Wertevorstellung anzunehmen. Diese differenzierte Auseinandersetzung liefert das moralische Fundament, um als Erwachsener aus Entscheidungen, die auch Fehlentscheidungen mit ein schließen können, zu lernen und eine bessere Zukunft zu gestalten.“ Auch wenn die Beurteilung einer Lebensgeschichte immer erst aus der Rückschau vom Hier ins „Damals“ erfolgt, kann sie nur gelingen, wenn die auch die Wertmaßstäbe, die in der jeweiligen Lebenswirklichkeit prägend waren, Berücksichtigung finden. In diesem Sinne wird man Günter Grass auch im Jahre 2007 Mut und Zivilcourage nicht absprechen können – weder in seinem Schreiben noch in seinem Leben.

Der Text wurde von Alex Fitzek (Neuburger Extra) zur Verfügung gestellt.

Weitere Preisträger

Christoph Ransmayr - 2013
Gerhard Polt - 2009
Günter Grass - 2007
Juli Zeh - 2003
Felix Mitterer - 2001
Biljana Srbljanovic - 1999
Albert Ostermaier - 1997

 
Preisträger 2007 Günter Grass
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