Hotel Mayflower (ETG, Slg. Spalek)

New York City, 15th Central Park West: The Mayflower

40°46’11.9″N 73°58’51.8″W

Als das Mayflower Hotel 2004 für immer seine Pforten schloss, um bald darauf abgerissen zu werden, schlug das eine kleine Wunde in die Westflanke des New Yorker Central Park. Nicht weil es so groß oder auffällig gewesen wäre, im Gegenteil: Mit seinen für New Yorker Verhältnisse bescheidenen 18 Stockwerken wurde das 1926 auf Höhe der 61/62. Straße erbaute Hotel schon lange von vielen seiner unmittelbaren Nachbarn in den Schatten gestellt. Die Lage, erste Reihe fußfrei an New Yorks Citys grüner Lunge, konnte ihm aber keiner nehmen. Auch wenn es schon lange still geworden war um das einst bekannte Hotel, war es für die New Yorker ein melancholischer Anlass, als das vom ungarischen Einwanderer Emery Roth entworfene Art Déco-Gebäude seinen Platz räumen musste. „An Old and Comfortable Face is Leaving the Park’s Side” bedauerte die New York Times in ihrer Ausgabe vom 4. November 2004. Den Charme des Mayflower machte in den letzte Jahren gerade sein Understatement aus, so David W. Dunlap, das könne auch nicht durch ein noch so teures und modernes Gebäude ersetzt werden: „But the city, and the skyline, will have lost something quiet. Something comfortable.” Heute steht an der Adresse ein riesiger, für Normalsterbliche unzugänglicher Luxusappartmentkomplex, in dem Oligarchen und Stars wie Denzel Washington den Blick auf den Central Park ganz exklusiv genießen.

The Mayflower verfügte über 365 Zimmer, in einem davon nahm sich Ernst Toller 1939 das Leben. Zu diesem Zeitpunkt wohnte Toller seit einem Jahr in dem Hotel, in dem er auch schon 1929, also kurz nach der Eröffnung des Mayflower, auf seiner USA-Reise untergekommen war. Tollers Ehefrau Christiane Grautoff erinnert sich:

„Wir stiegen im Hotel Mayflower ab. Im Jahr 1938 sah es ein bißchen altmodisch aus, aber gerade weil es europäisch wirkt, zogen wir dort in zwei Zimmer mit Bad. Vor unseren Fenstern lag der Central Park mit seinen schönen Bäumen, dem See, den vielen Kinderspielplätzen und dem Zoo auf der anderen Seite. Zwei Ecken nach links ist der Columbus Circle. Von dort nach rechts säumen Wolkenkratzer die ganze Südseite des Central Park. Ein überwältigender Blick, wenn man vom Hotel Mayflower hinüber nach Central Park South schaut. Dieses Hotel ist so gut gelegen, daß man innerhalb weniger Minuten am Broadway sein kann oder bei den schönsten Geschäften der Fifth oder Madison Avenue. Und bevor man zum Frühstück in den Drugstore an der Ecke geht, kann man im Park Luft schöpfen. Aber trotz aller Bequemlichkeiten und schönen Aussichten wollte ich dort nicht bleiben. Ich wolle mich ansiedeln. Ich wollte, daß wir unser Zelt aufschlagen und uns einnisten.“[1]

Seinen Tod kommentierte der Völkische Beobachter höhnisch mit „Im Mayflower-Hotel baumelt ein Mann“[2], und zeichnete das Bild eines in Luxushotels residierenden Snobs. Das war freilich weit weg von der Realität. Ein wirkliches Luxushotel war das Mayflower schon zu Tollers Zeiten nicht, auch wenn es sich alle Mühe gab, wie eines zu wirken, mit seiner eleganten, von Kronleuchtern erhellten Lobby, und der aufwendig mit Cherubinen und neoklassizistischen Elementen verzierten Fassade. Gehobener Standard war es aber sehr wohl. Der Baedeker New York weiß immerhin noch im Jahr 2000 zu berichten, dass man „an der Hausbar schon mal Opernstars wie Pavarotti und Domingo“[3] treffen könne (was wohl der Nähe zur Metropolitan Opera geschuldet sein dürfte) und dass auch „Schauspieler wie Jack Nicholson, Jane Fonda und Alex Baldwin“ Hausgäste seien.

Man kann nur darüber spekulieren, weshalb Toller ein Hotel als fixen Wohnort wählte und sich kein Apartment nahm. Ganz ungewöhnlich war das freilich nicht, Klaus Mann etwas residierte im als Treffpunkt für die deutschsprachige New Yorker Emigrantenszene bekannten Bedford Hotel in der 40. Straße mit Blick auf das Chrysler Building, Soma Morgenstern lebte gar jahrzehntelang im Hotel Park Plaza (nicht zu verwechseln mit dem Plaza Hotel), in dem auch Hermann Kesten, Walter Mehring und Hans Sahl wohnte. Für die meisten waren New Yorker Hotels aber nur die erste Unterkunft nach der Einreise über Ellis Island, Toller aber blieb und kehrte auch nach seiner gescheiterten Hilfsaktion für die Spanische Zivilbevölkerung dorthin zurück. Auf vielen von Tollers Briefen aus den Jahren 1938 und 1939 prangt ein eindrucksvoller Dreimaster, die Mayflower, jenes Segelschiff, auf dem die Pilgerväter von England in die neue Welt aufbrachen und das als Namensgeber des Zwillingsbaus diente. Ursprünglich waren die zwei baugleichen Teile als zwei Hotels konzipiert, und sollten den gemeinsamen Namen Mayflower/Plymouth tragen. Der Bezug zur europäischen Heimat war in Tollers Briefen also zumindest symbolisch gegeben, das Schiff, das ihn zurück nach England bringen sollte – die Koffer sollen angeblich schon gepackt in seinem Hotelzimmer gestanden sein – betrat er nicht mehr.


[1] Christiane Grautoff: Die Göttin und ihr Sozialist. Herausgegeben von Werner Fuld und Albert Ostermaier. Bonn: Weidle 1996, S. 118-119.

[2] Mungo [Valentin J. Schuster]: Im Mayflower-Hotel baumelt ein Mann. In: Völkischer Beobachter (Wien), Nr. 148/149 vom 28./29.5.1939, S. 3.

[3] Baedeker New York, Ostfildern: Baedeker Verlag 2000, S. 214.

Veronika Schuchter, 10.10.2019